Formverwunderungen  |  Cindy Schmiedichen

Wenn man der Arbeit von Rabea Dransfeld begegnet, ist man zunächst unmittelbar angezogen von der oft kleinteiligen Zartheit und ästhetischen Feinheit ihrer Objekte. Zugleich mag man sich ihrer Zerbrechlichkeit wegen nur mit einer gewissen Vorsicht annähern.

Wir sehen räumliche Gebilde, die einem seltsam bekannt, doch alles andere als vertraut erscheinen – ein Mikrokosmos seriell gewachsener Strukturen, in welchen Rabea Dransfeld morphologische Eigenarten der Natur in plastische Objekte von hoher formaler Geschlossenheit transformiert.

Der Arbeitsprozess zeichnet sich durch einen sehr direkten und gleichzeitig sensiblen Umgang mit dem Material aus. Dabei greift sie das in der Natur verbreitete geometrische Prinzip der Selbstähnlichkeit auf, demzufolge kleinteilige Strukturen bei Vergrößerungen immer wieder die Form des Ganzen spiegeln. Ausgangspunkt dieser Formen ist eine Vielzahl sich wiederholender kleiner Elemente, die durch ihre individuelle Herstellung immer ähnlich, jedoch nie ganz identisch sind. Dadurch wirken ihre Objekte weniger als Abbild oder Abguss bereits existierender Formen, sondern eher wie aus sich selbst herausgewachsene Gebilde, die trotz ihrer Künstlichkeit einen natürlichen Charakter besitzen.

So entwickelt Rabea Dransfeld eine eigenständige, künstlerische Morphologie, die über die Reihe ihrer verschiedenen Variationen eine artifizielle Pseudo-Evolution in Gang setzt, die wiederum auf die Gestaltungen der Natur verweist. Ihr Formenvokabular scheint dabei stets im biologischen Bereich angesiedelt zu sein.

Es geht vornehmlich um eine Ästhetik des Elementaren: mikrokosmische Auskopplungen, die an primitive Lebensformen, Einzeller, Eiweißbausteine, Reste von Schwämmen, Korallen oder Ähnliches erinnern, aber gleichwohl als eigenständige, abstrakte Formulierungen gesehen werde können. Ein bizarres Alphabet des Lebens, welches allerdings nur in Bruchstücken und Fragmenten sichtbar wird und durch die eigenwilligen Abwandlungen des Organischen einen geradezu surrealen Eindruck erwecken kann.

Einzeln wirken ihre Objekte oft wie Fundstücke, doch zumeist fügen sich diese zu größeren Arrangements zusammen, die dann zuweilen wie eine naturhistorische Sammlung anmuten. Und dabei wird wieder sehr begreiflich, dass solche Sammlungen in der Vergangenheit oft als Wunderkammern bezeichnet wurden. In diesem Sinne vermag es Rabea Dransfeld vermittels der Proben ihrer Kunst, den Blick für die erstaunlichen Phänomene unserer natürlichen Mitwelt so weit zu öffnen, dass sich beim Betrachten eine Faszination einstellt, die vielleicht jener gleicht, welche etwaige Forscher angesichts einer Auslese kosmischer Fossilien verspüren würden.

(erschienen in: Junge Kunst aus Nordeuropa, Hrsg.: Edition Hohes Ufer Ahrenshoop)

Shaped Astonishment  |  Cindy Schmiedichen

When encountering the work of Rabea Dransfeld, one is immediately attracted to the often small-scaled delicacy and dainty aesthetics of her objects. Nevertheless they only seem approachable with a certain caution due to their fragility.

We see spatial formations that seem strangely recognizable although anything but familiar - a microcosm of serially grown structures in which Rabea Dransfeld transforms morphological peculiarities of nature into sculptural objects of high formal coherence.

The working process is characterized by a very direct and simultaneously sensitive handling of the material. In doing so, she takes up the geometric principle of self-similarity which is widespread in nature, according to which small-scaled structures repeatedly reflect the form of the whole in magnifications. The starting point of these forms is a multitude of repetitive small elements, which are always similar but never quite identical due to their individual production. As a result, her objects seem less like an image or cast of existing forms, but more like structures that have grown out of themselves and despite their artificiality have a natural character.

Thus, Rabea Dransfeld develops an independent, artistic morphology that, through the series of its varieties, sets an artificial pseudo-evolution in motion, which in turn refers to the formations of nature. Thereby her formal vocabulary always seems to be located in the biological field.

It is primarily about an aesthetics of the elemental: microcosmic extractions, reminiscent of primitive life forms, protozoa, protein components, remnants of sponges, corals or similar objects, but can nevertheless be seen as independent, abstract formulations. A bizarre alphabet of life, which, however, is only visible in pieces and fragments and can create an almost surreal impression through the idiosyncratic modifications of the organic.

Individually, her objects often look like found objects, but are mostly merged into larger arrangements, which at times seem like a natural history collection. Thereby it becomes explicit that such collections were often referred to as Wunderkammern (cabinets of wonder) in the past. By means of the samples of her art, Rabea Dransfeld is able to open the view to the amazing phenomena of our natural environment to such an extend, that when looking at them a fascination ensues, comparable to the fascination any researcher would feel when faced with a selection of cosmic fossils.

Alchemistische Animationen  |  Dr. Christina May

Veränderungsprozesse, das Wachstum oder auch der Verfall zeichnen die Formen der Objektkunst Rabea Dransfelds. Die Wachsplatten oder auch die Keramik- oder Gipsobjekte scheinen sich zu entwickeln und eine Evolution zu durchlaufen, obwohl sie nicht lebendig sind. Mit diesen formalen und materiellen Gleichnissen von Belebten und Unbelebten, von Biologischem und Geologischem und insbesondere der Analogie von Kunst und Natur, steht Dransfeld in der Tradition der Kunst- und Wunderkammern. Mit alchemistischen Animationen geht die Künstlerin den Eigenschaften von Materialien nach und untersucht ihre Transformation. Diese Versuche unternimmt sie jedoch nicht aus der aufgeklärten naturwissenschaftlichen Perspektive einer Chemikerin oder Physikerin. Stattdessen räumt sie dem Zufall Platz ein und gesteht dem Material respektvoll ein Eigenleben zu. Es darf sich entfalten, so dass seine eigene Wirkungsmacht sichtbar wird.

Rabea Dransfeld hat an der Universität Greifswald 2020 einen Master im Fach Bildende Kunst abgeschlossen. Darüber hinaus besitzt sie einen akademischen Hintergrund im sozialwissenschaftlichen Bereich: Neben der Kunst studierte sie im Bachelor Politikwissenschaft. Zuvor absolvierte sie einen Bachelor in Erziehungswissenschaft an der Universität zu Köln. Soziologische Theorien beeinflussen die Konzeption ihrer aktuellen künstlerischen Arbeiten – das Nachdenken über Transformationsprozesse und Handlungsspielräume.

Für die Schichtwachsplatten (2020) sammelt und verwendet Rabea Dransfeld Wachs, das bereits eine Vorgeschichte besitzt. Das Recycling interessiert sie weniger als solches, sondern vielmehr die Materialeigenschaften, die sich aus dem Gebrauch ergeben. Verschmutzungen treten auf. Trotz Reinigung bleiben Sedimente zurück, die im späteren Prozess Brüche oder Verformungen des Materials erzeugen. Von den vielen Zufallskomponenten und den unsauberen Strukturen geht der Reiz der Überraschung aus. Durch wiederholtes Probieren erzielt sie verschiedene Ergebnisse. Diese sind wiederum keine Endresultate, sondern Momentaufnahmen eines Zustands. Auch den völligen Zerfall und damit die Zerstörung des Kunstobjekt nimmt Dransfeld in Kauf. So hatten die Schichtwachsplatten ursprünglich eine Größe von 1,70 bis zu zwei Metern. Dransfeld lehnte sie an die Wand, bis sie schließlich brachen. An den Bruchkanten zeigen sich nun die verschiedenen Färbungen und Strukturen der Materialien, also der verschiedenen Wachse und ihrer Einschlüsse.

Auch mit Ins Grüne (2020) stellt Dransfeld einen Aufbau her, der sich außerhalb ihrer Kontrolle fortentwickelt: Wachs wird mit Pigmenten vermischt, als Platten gegossen und auf einen rollbaren Gipssockel gestapelt. Während der Dauer der Lagerung biegen sich die Platten, verschieben sich und Unebenheiten drücken sich durch wie geologische Schichtungen. Umwelteinflüsse sind an der Formgebung beteiligt, so dass die Kontrolle weiter aus der Hand gegeben wird.

Während die Wachsarbeiten abstrakt sind, bieten andere Serien, wie die Kosmischen Korrelate (2020) Raum für figurative Assoziationen. Die serielle Ansammlung von Gebilden, die Zellen oder Kristalle sein könnten, sind ebenfalls Strukturen des Wachstums. Die Einzelformen bedingen einander, sind aber jeweils individuell. Wieder doppeln sich die Verweise auf Geologisches, Meteoriten etwa, mit Ähnlichkeiten zu biologischen Formen wie Bienenwaben – fortlaufende Prozesse im Mikro- und Makrokosmos. Auf Stäbe montiert erscheinen die Objekte wie Präparate. Diese Disposition verstärkt den Eindruck des Surrealen und Animierten: Gehören die Stäbe als prothetische Extremitäten zur Zellstruktur, die gleich zu laufen beginnt? Oder hält die Apparatur die unberechenbaren Wesen in schützender Distanz zum Publikum?

Rabea Dransfelds schafft animierte Materialien, die ohne anthropomorphe Sentimentalitäten agieren. Die serielle Produktion ist das alchemistische Ritual, das auf die Wahrnehmung des Eigenlebens der Stoffe gerichtet ist.

(erschienen in: Hier & Jetzt Nachwuchskunstpreis für Bildende Kunst in Mecklenburg-Vorpommern 2021, Hrsg: Förderkreis Schloss Plüschow e.V.)